Die Anregung für diese zusätzliche Ausfahrt des RSC kam von Eugen Holzenthaler. Frank Reichel hat daraufhin die Organisation übernommen und eine Woche Radda in Chianti gebucht. Unser Hotel, ein Agrotourismus - Hotel, lag romantisch mitten in einem Weinberg mit Blick auf das gegenüber auf einem Bergrücken liegende Radda, ca. 1,5 km entfernt.
Das Wetter daheim war alles andere als Frühlingshaft als wir losfuhren. Der Wetter-bericht für die Toskana verhieß uns aber grundsätzlich eine schöne Woche. Anfangs noch etwas wechselhaft, danach immer schöner und wärmer.
Kurz gesagt: Es hat geregnet, geschifft wie aus Kübeln, gehagelt - und das täglich. Außer am Abreisetag, aber meistens zu Zeiten, in denen wir gerade nicht auf dem Rad gesessen sind. Abends, in der Nacht, morgens vor dem Frühstück, gefühlt eigentlich immer. Und gefühlt war es immer viel zu kalt. In den Zimmern, beim Frühstück und beim Abendessen.
Eigentlich hätte das Hotel, das aus mehreren Steinhäusern bestand und, wie schon erwähnt, romantisch in einem Weinberg lag, eine richtige Luxusherberge sein können, wenn es nicht völlig heruntergekommen wäre. Dass dann ausgerechnet am ersten Abend wolkenbruchartige Niederschläge auf uns herniedergingen, die genau über Erikas und Franks Zimmer die Dachrinne zum Überlaufen brachten, kann man aber auch als Pech abtun, wenngleich es zu einigen Verzweiflungsreaktionen geführt hat, weil die Zimmer darunter relativ schnell unter Wasser standen. Zumindest das Abendessen in Radda wollte unter diesen Umständen nicht so richtig schmecken.
Grundsätzlich möchte ich aber noch betonen, dass alle Äußerungen zum Essen, ob Qualität, Menge oder Wartezeiten, stark subjektiv geprägt sind und nicht unbedingt die Meinung aller widerspiegelt. Hier gelte ich doch allgemein als Nörgler, Drängler oder Querulant. Oder alles zusammen.
Jetzt aber der Reihe nach, wir waren doch schließlich zum Radeln da.
Samstag, morgens um 2 Uhr. Start in Rißegg bei Christoph vor dem Haus. Er fährt den überlangen Sprinter, in dem jeder sogar noch ein Ersatzfahrrad untergebracht hätte. Nach ereignisloser Fahrt erreichen wir um ca. halb 12 Uhr Radda in Chianti. Wir finden gleich das Hotel, die Zimmer sind aber noch nicht alle fertig. Erste lange Gesichter. Geht aber schon. Es hat einige Wolken, die Temperatur ist aber angenehm. Perfekt für eine erste Eingewöhnungsrunde. Schon bei der Anfahrt merken wir: Oh, viele Berge, nicht sehr steil, aber eigentlich immer rauf oder runter. Dazwischen: Fehlanzeige. Egal, die erste Runde fahren wir gemeinsam und gemütlich rund um Radda und kommen bei 60 km gleich auf 1200 Höhenmeter. In Radda wird gerade aufgebaut und geschmückt. Am nächsten Tag ist Radda nämlich Startort für das Einzelzeitfahren des Giro d'Italia. Alles in Rosa. Für den Abend bestellen wir einen Tisch in einem Restaurant.
300 Meter vor unserer Dependance gibt es eine Bar und ein Restaurant. Die Bar erheben wir im Laufe der Woche zur Drosselbar, diese ist ebenfalls erheblich in Rosa geschmückt.
Kaum zurück in St. Cristina, so heißt unser Hotel, kommt es zu oben erwähntem Wolkenbruch mit anschließender Überschwemmung und leichtem Verweiflungsausbruch. Wir kommen trotzdem noch rechtzeitig zum Abendessen, was aber, vor allem mengenmäßig, nicht die ungeteilte Freude aller findet.
Sonntag, Giro - Festtag in Radda. Der Tag beginnt mit einem totalen Chaos beim Frühstück. Ein älterer Herr versucht, während er diverse Platten mit Kuchen und Pizzen herbeischleppt, etwa 50 Leute, darunter hauptsächtlich Leute aus dem Giro - Tross, satt zu bekommen. Kaffee gibt es nach etwa einer Stunde. Er bringt jede Tasse einzeln. Brot ist nicht unbedingt vorgesehen. Schlecht für deutsche Radler.
Wir wollen heute die Rennstrecke vor dem Start der Profis abradeln. Die Streckenlänge von Radda zum Ziel in Greve beträgt 40,5 km. Die Straße ist bereits für Autos gesperrt, ich befürchte daher eine Massenprozession der anwesenden Rennradler unter den Zuschauern. Wieder Fehlanzeige. Außer uns ist fast keiner unterwegs. Tolle Strecke, schöne Ausblicke, für die die Profis allerdings keine Zeit haben dürften. Unterwegs wird noch überall aufgebaut und geschmückt. Die ersten Zuschauer mit den Wohnmobilen sind auch schon da und machen es sich mit einer Dose Bier im Liegestuhl gemütlich. Nur in Castellina müssen wir kurz von der Strecke, weil es im Ort um eine enge Kehre geht und dort vermutlich noch viele Aufbaumaßnahmen nötig sind.
Nach 300 Meter schieben sind wir wieder auf der Strecke. Immer mal wieder müssen wir links oder rechts ran, weil einige der Profis noch eine Trainingsrunde absolvieren. So kommen wir fast bis ins Ziel nach Greve, wo wir dann 600 Meter vor der Ziellinie rechts raus gewunken werden.
Von hier sind es jetzt nochmals 30 km zurück nach Radda. Hier verfolgen wir jetzt einige Starts in Live bzw. das Rennen auf der Großbildleinwand. Nachdem es aber inzwischen angefangen hat zu regnen, wird es zunehmend ungemütlicher und kalt. Die armen Schweine, die bei diesem Wetter das Rennen fahren müssen, sind nicht zu beneiden. Die machen die Strecke übrigens in etwa 54 Minuten. Schnitt 45.
Bei uns kommen dann auf insgesamt 70 km doch wieder 1600 Höhenmeter zusammen.
Das Abendessen nehmen wir dann im Restaurant gegenüber der Drosselbar ein. Der Running - Gag dabei lautet mal wieder: Wir sind Radler, machen viele Km und Hm und brauchen dringend eine große Portion Nudeln. Selten so gelacht. Die Kellner haben Spaß mit uns.
Bei den 4 Lämmlein - Koteletts von Manfred behaupte ich allerdings bis heute, dass die schon abgenagt waren, als sie auf den Teller gekommen sind.
Montag, ein Tag für Kilometerfresser.
Der Giro - Tross ist weg, das Chaos beim Frühstück bleibt. Kaffee gibt es immer erst hinterher. Frank hilft in der Küche Brotschneiden. Dafür bietet uns der ältere Herr an, Abends ein Abendmenü für 13 Euro zu kredenzen. Nach den Erfahrungen der beiden ersten Abende bestellen wir.
Als wir endlich startbereit sind, fahren wir zunächst gemeinsam in Richtung Westen los und wollen uns dann später in eine kürzere und eine längere Variante aufteilen. Die Temperatur ist angenehm, die Wolken nur leicht bedrohlich. Nach etwa 30 km teilen wir uns in eine Gruppe 'Voltera' und in eine Gruppe 'San Gimignano'. Erika, Frank und Manfred machen so etwa 120 km, beim Rest werden es 162 km und 2700 hm.
Als dieser Rest nach der Pause in Voltera ebenfalls in San Gimignano eintrifft, beginnt es dort zu schütten. Weil zunächst kein Ende abzusehen ist und wir eh schon spät dran sind, fahren wir ca. eine halbe Stunde bei Starkregen in Richtung Poggibonsi, wo sich das Wetter wieder etwas bessert. Nach zwei Ehrenrunden durch die Stadt finden wir endlich den Ausgang und machen die letzten 32 km bei wieder zunehmend schönerem Wetter.
Abendessen ist auf 8 Uhr angesetzt. Außer uns noch 2 oder 4 andere Personen. Der Raum ist groß und kalt. Dicke Jacken an. Das jetzt folgende tägliche Ritual beginnt damit, dass schon nach einer halben Stunde die Getränke auf dem Tisch stehen. Für mich ein Bier, der Rest Wein und Wasser. Dann die Verkündung der Speisenfolge. Um ca. 9 Uhr dann die Vorspeise, Nudeln in erstaunlicher Portionsgröße, ok, es ist eine Vorspeise, also nicht übertreiben. Er bietet uns meistens für Vorspeise und Hauptspeise unterschiedliche Gerichte an, aber hier herrscht häufig Übereinstimmung. Die Hauptspeise am Montag habe ich vergessen, aber es dürfte so gegen halb Zehn gewesen sein. Danach noch eine außerplanmäßige Nachspeise, die seine Frau überraschend zubereitet hat, ein Kaffee noch und zu guter Letzt einen Grappa. Höchste Zeit, danach ins Bett zu gehen. Es ist schon spät.
Dienstag, wir lassen es heute etwas ruhiger angehen. Frank hilft wieder beim Brotschneiden, der Kaffee kommt lange nach dem letzten Bissen. Inzwischen geht aber der Capucino nicht mehr, kein Druck auf der Maschine. Das Abendessen wird wieder bestellt. Bei der Abfahrt um einiges nach Zehn ist es wieder trocken und bewölkt. Die gemeinsame Tour geht heute nordwärts über schon gewohntes bergiges Terrain. Über den nördlichsten Ort San Polo geht es wieder zurück in Richtung Süden über Greve, den schon bekannten Zielort vom Giro. Dort trennen sich nochmals die Wege in eine etwas kürzere und längere Variante. Bei der Hauptrunde kommen auf 85 km auch wieder 1900 Höhenmeter zusammen
Nach der Ankunft bleibt noch Zeit für einen kleinen Absacker in der Drosselbar. Inzwischen regnet es draußen wieder. Drinnen an der Theke ist es gemütlicher. Wir haben Zeit, weil das Abendessen wieder auf 8 Uhr festgesetzt ist.
Zeitplan wie gewohnt, der überschaubare Nudelgang mit gefüllten Ravioli und der Grillplatten - Hauptgang ziehen sich wieder durch den ganzen Abend. Dafür werden wir auch wieder mit dem überraschenden Nachtisch und dem finalen Grappa verwöhnt, bevor wir wieder in unsere kalten und klammen Betten sinken können.
Mittwoch, der Kleingruppentag. Nach erfolgreich hinter uns gebrachtem Frühstück gíbt es heute tatsächlich 3 Gruppen. Eugen bildet seine Eigene, Erika, Frank und Manfred wollen was kürzeres machen und wir restlichen Vier, Christoph, Peter, Matthias und ich lassen uns von Christoph in völlig neue Gefilde führen. In nordöstlicher Richtung erreichen wir zunächst San Giovanni, ein langes Flußtal und die Autobahn A1, durchqueren das Tal und erreichen eine hohe Bergkette, die mit einer Auffahrt auf über 1000 Meter in der Nähe des Monto Loro gipfelt. Das Wetter ist heute meistens perfekt, gelegentlich ziehen auch einmal stärke Wolken durch, aber ohne Wirkung. In Anciolina erreichen wir den höchsten Punkt der Strecke und orientieren uns ab hier wieder rückwärts .zur A1, queren diese bei Molino di Mezzo und sind jetzt wieder im Chianti. 115 km und 2300 Höhenmeter entsprechen genau dem bisherigen Weiten - und Höhenverhältnis.
Wenn schon Kleingruppenbildung, dann heute auch beim Abendessen. Nachdem ich ein Ristorante - Pizzeria in Radda ausfindig gemacht habe, trennen sich heute abend unsere Essenswege. Manfred, Eugen und ich planen die Pizza, weil man hier fast nichts falsch machen kann, der Rest ergibt sich wieder in das Abendmenü.
Was soll man sagen, es ist fast schon tragisch: Pizza gibt es nur am Freitag und Samstag. Also weiter zum Schnellimbiss? Dazu nagt der Hunger bereits zu sehr im Gedärm. Der Wein ist auch schon bestellt. Also, wieder mein Running - Gag mit den Radlern und den Km und den Hm und den großen Nudelportionen. Der Kellner lacht nicht, er lächelt und macht sich eine Notiz. Der Chef bringt die Nudeln - in einer homöopathischen Dosis, die einem Altersheim in der Fastenzeit zur Ehre gereicht hätte. Uns gefriert das Lächeln auf den Lippen. Der Chef schaut etwas verständnislos. Offensichtlich ist die Notiz des Kellners nicht in der Küche angekommen. Nachdem wir fertig sind, bekommen wir mit einem entschuldigenden Hinweis noch ein kleines Schälchen Nudeln, für alle zusammen, nachgereicht. Sehr freundlich.
Donnerstag, Regen - und Zwangspause. Der Wetterbericht hat schon klargemacht, dass heute vermutlich ein Pausentag sein wird. Für die meisten jedenfalls. Über das Frühstück sprechen wir heute nicht. Wir verabreden uns, nachmittags um 2 Uhr zusammen nach Siena fahren zu wollen.
Christoph, Eugen und Matthias lassen sich vom Wetter nicht schrecken und starten zu einer Kurztour, wir anderen machen eine kleine Wanderung über den Höhenrücken unseres Weinbergs. Es regnet oder nieselt nur geringfügig, auch die Radler werden kaum nass.
Um zwei sitzen alle im Bus nach Siena, Christoph findet einen kostenlosen Parkplatz in akzeptabler Nähe zur Innenstadt und wir machen uns auf den Weg zur Besichtigung. Palio, der schräge Markplatz und die Kathedrale stehen auf dem Plan. Und dazwischen schifft es, hagelt es, der Hagel liegt in den Rinnsteinen, es ist kalt und zugig. Der Palio ist leergefegt. Jeder rettet sich so gut er kann über die Zeit.
Als wir zurückfahren, ist das schlimmste vorbei und die Sonne scheint wieder.
Heute abend sind wieder alle um 8 Uhr beim Abendessen versammelt. Es ist kalt und der Zeitplan paßt auch noch. Wir erzählen von der tollen Pizza und die anderen vom gigantischen Abendessen am Vortag. Die Portionen sollen groß gewesen sein. Kein Wunder, es waren auch drei Esser weniger am Tisch.
Diesmal wird es für (fast) alle ziemlich ernüchternd. Gulasch, also ein paar Fleischbrocken ohne irgendwas drin, dazu wahlweise als Beilage Bohnen oder Kartoffeln, die Kartoffeln aber erst nach dem Fleisch, bzw. alternativ zum kalten Fleisch. Aber sonst wie gehabt.
Immerhin, laut Wetterbericht soll der Freitag, also unser letzter Tag, schön werden.
Freitag, der letzte Tag. Als ich um geschätzt 6 oder 7 Uhr zum ersten Mal aufwache, höre ich Donnergrollen. So war das aber nicht geplant. Um 10 Uhr, zur normalen Soll - Abfahrtszeit, ist es noch arschkalt und stark bedeckt. Warten auf besseres Wetter. Um 12 Uhr sitzen wir tatsächlich auf dem Rad, es reißt auf und wird von Minute zu Minute wärmer. Auch heute sind wir wieder in unterschiedlichen Gruppen unterwegs. Die Gruppe Christoph begibt sich zunächst auf eine Südschleife über San Giuso und San Cusme, um dann später über die Zwischenstation Gaiole, wo wir auch die anderen im Cafe wieder treffen, nochmals auf eine Nordrunde über Cavrilia und Castelnuovo abzubiegen. So kommen bei einer versöhnlichen und tollen Abschlußrunde nochmals 99 km und 2000 Höhenmeter zusammen.
Inzwischen ist es richtig sommerlich. Jetzt nochmals ein schöner Spaziergang mit Manfred zum Abendessen im Ristorante - Pizzeria nach Radda hoch und diesmal wirklich eine Riesenpizza verdrücken. Ich hätte gerne mehrmals unterwegs zum Pizzarand, der weit außerhalb des Tellers auf der Tischdecke liegt, aufgegeben, aber unter den gegebenen Umständen ist jetzt durchhalten angesagt. Mit vollständig gesättigtem Magen ein toller Abschluß einer schönen Radwoche.
Garantiert nichts für Flach - und Flußradler.